Lutz Seiler – Kruso

  • Verlag: Hörbuch Hamburg
  • Regie: NDR Kultur
  • Laufzeit: 657 Min

„Zu erleben sind zwei Meister der Sprache. Von Anfang an ist man als Zuhörer gefesselt – vom Zauber des Textes und der meisterlichen Interpretation durch den Schauspieler, der selbst auch Gedichte schreibt. Dinda trifft den Rhythmus. Er interpretiert unaufgeregt – so wie es Seilers Sprache entspricht. Ein Hörgenuss.“ Nordkurier

„Dinda hört sich so authentisch an in seiner Emphase und seinem Befremdlichkeitston, als hätte Seiler beim Schreiben des Romans schon diese Stimme im Ohr gehabt.“ Börsenblatt

„Grandios!“ Bücher Magazin

 

Deutscher Hörbuchpreis 2015: Nominierung Bester Interpret

 

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Nach dem Verschwinden seines Katers, der das Letzte war, was ihm von seiner verunglückten Freundin geblieben ist, verlässt der 24-jährige Germanistik-Student Edgar seinen Studienort Halle und fährt nach Hiddensee, um dort zumindest den Sommer zuzubringen. In der Ausflugsgaststätte Zum Klausner (die tatsächlich bis heute existiert) erhält er Arbeit als Abwäscher und lernt Alexey Krusowitsch kennen.

Kruso, auch Aljoscha oder Losch genannt, ist der Sohn eines sowjetischen Generals und einer verunglückten Zirkusartistin. Seit seine Schwester ihn als Kind am Strand zurückließ und nicht zurückkehrte (ob es ein Unfall oder ein Fluchtversuch war, lässt das Buch offen), ist Kruso traumatisiert. Er versucht, die „Esskaas“ („SKs“, Abkürzung für „Saisonkräfte“) und „Schiffbrüchigen“ – die gesellschaftlich Enttäuschten – von der Flucht abzuhalten. Kruso bietet ihnen als Alternative zur Flucht drei Tage auf der Insel. Mit einem Initiationsritual, das aus (illegaler) Beherbergung, der „heiligen Suppe“ und einer Waschung besteht, werden sie in die Gemeinschaft der Schiffbrüchigen aufgenommen. Kruso glaubt, dass sie durch das Ritual die Wurzel ihrer inneren Freiheit verspüren und so aufs Festland zurück können, bis eines Tages die „Quantität in Qualität umschlägt“ und „das Maß der Freiheit in den Herzen die Unfreiheit der Verhältnisse mit einem Schlag übersteigt“. Grundsätze seiner Utopie sind die Akzeptanz jedes Einzelnen sowie Solidarität und Gemeinschaftlichkeit. Es ist eine Art Urkommunismus, den er mitten im zerbröckelnden „realen Sozialismus“ beschwört.

Ed wird von Kruso zunehmend einbezogen in die Rituale, die als Ausdruck einer Lebenshaltung die Crew des Klausners auf besondere Weise zusammenschweißen. Ed erlebt seine sexuelle Initiation, muss jedoch begreifen, dass dies keineswegs im Zentrum der Idee Krusos steht. Die gemeinsame Liebe zur Literatur – beide schreiben Gedichte – und der Verlust eines geliebten Menschen lassen Ed und Kruso zunehmend zu einer untrennbaren Gemeinschaft werden.

Die Vorgänge im Sommer 1989, als immer mehr Menschen über Ungarn oder über das Botschaftsgebäude der Bundesrepublik in Prag versuchten, in den Westen zu gelangen, werden durch das Radio Viola in die abgeschottete Welt des Klausners gespült, von den Klausnern zunächst jedoch kaum wahrgenommen. Bei verbotenen West-Büchern, der Rezitation von Gedichten Georg Trakls und eigenen literarischen Produkten erleben die Protagonisten „wie in einem fiebrigen Traum“ die letzten Tage der DDR. Die anarchische Freiheit erweist sich jedoch letztlich als „kollektive Selbsttäuschung“: Grenztruppen und Staatssicherheit kontrollieren die Insel und stecken auch den Rahmen der Freiheits-Utopie ab, wessen sich allerdings zumindest Kruso bewusst ist.

Das anfängliche Bild des Klausners als Schiff und als schützende Arche wird zunehmend zur Metapher für das „sinkende Schiff“, das von der Besatzung verlassen wird. Als die Westgrenzen offen sind, bleiben von der utopischen Gemeinschaft nur noch Ed und Kruso übrig. Zu zweit versuchen sie, das Schiff auf Kurs zu halten.

Verunsicherung, Gerüchte und Vertrauensverluste unterminieren nicht nur das Fundament der Freiheitsidee Krusos, sondern auch die Freundschaft zwischen ihm und Ed. Kruso ist schwer verstört durch die Infragestellung seiner Utopie und den Zerfall der Gemeinschaft des Klausners. Nach und nach driftet er in den Wahn ab. Als er Ed körperlich attackiert, weil er sich von ihm verraten fühlt, verletzt er sich schwer. Ed pflegt ihn. Da die Ärztin der Insel in den Westen geflohen ist, informiert ein Staatssicherheits-Mann Krusos Vater, der sofort nach Hiddensee eilt und seinen Sohn auf einen sowjetischen Panzerkreuzer bringen lässt. Unter Salutschüssen, die an den Panzerkreuzer Aurora und den Beginn der Oktoberrevolution erinnern, wird Kruso „heim geholt“. Edgar, nun vollkommen allein, übernimmt den Klausner und rekonstruiert den Gedichtband Krusos, der in den Wirren der letzten Wochen verloren gegangen war. Am 12. November erfährt er durch das Radio, dass die Grenzen seit Tagen offen sind.

Im Epilog erzählt die Figur Ed stellvertretend von der Recherche Lutz Seilers bei dänischen Behörden nach den 174 DDR-Flüchtlingen, die seit 1961 in der Ostsee umgekommen waren. Er kann die Identität der anonymen Todesopfer jedoch nicht klären; nur die Romanfigur „Speiche“ wird eindeutig identifiziert.