Wenn sich ein Kriminalroman monatelang auf Platz eins der israelischen Bestsellerlisten hält, muss schon ein Wunder geschehen sein. In der hebräischen Literaturszene wird der Krimi – trotz der Ausnahmeerscheinung Batya Gur – immer noch nicht ernst genommen. Das Genre gilt als trivial, doch Dror Mishani hat das Wunder mit seinem jüngsten Kriminalroman „Drei“ geschafft. Die dreiteilige Geschichte mit den eindrücklichen Frauenfiguren Orna, Emilia und Ella erzeugt ihre Spannung aus der Unwissenheit, welche Konsequenzen ihre Begegnungen mit dem smarten Rechtsanwalt Gil haben – und „Drei“ überrascht mit einem unvorhersehbaren Clou.Mishani ließ schon zuvor durch seine Experimentierlust aufhorchen, als er mit seiner bisher dreibändigen Reihe um den Ermittler Avi Avraham den Israel-Crime revolutionierte. Ein Polizist als literarischer Serienheld? Undenkbar! Im Gegensatz zu Geheimdienst und Militär gelten Cops in seiner Heimat immer noch als naiv und einfältig. Sie werden meist von Mizrahim gestellt, und dass Juden aus dem Nahen Osten oder Nordafrika die Realität nicht begreifen, weiß man doch seit Ephraim Kishons Kultfilmklassiker „Polizist Azoulay“ von 1970, der in Israel immer noch die belächelten Streifenhörnchen versinnbildlicht.Dror Mishani hat mit seinem Roman dennoch großen Zuspruch gefunden, weil seine Figur Avraham eben kein Held sein will. Nicht nur bei israelischen Lesern kam an, dass der Ermittler an sich selbst zweifelt und das Verbrechen, nicht aber dessen Aufklärung im Vordergrund steht. Mishanis Theorie, wonach alle literarischen Ermittler unzuverlässig sind und auch eine andere Auflösung als die präsentierte denkbar ist, überträgt der Literaturdozent auf seine Krimiserie und belebt somit das Genre ausgerechnet vom Nahen Osten aus.Wenn sein eigenständiger Roman „Drei“ jetzt aber nicht nur von Kritik und Krimifans, sondern auch von einem breitem Lesepublikum in Israel gefeiert wird, war das ganz und gar nicht vorhersehbar. Dror Mishani gelingt ein genialer Kniff, indem er unaufgeregt über das (Beziehungs-)Leben dreier sehr lebensnah gezeichneter Frauen aus Israel erzählt, die sich Trost, Zuneigung, Fürsorge und Abwechslung von einem Mann versprechen, der sich als Projektionsfläche ihrer Sehnsüchte anbietet. Da ist die alleinerziehende Lehrerin Orna, die zögerlich auf einem Datingportal nach einer neuen Liebe sucht. Emilia, die Altenpflegerin aus Osteuropa, sehnt sich in dem fremden Land nach Halt und Fürsorge. Und die an ihrer Abschlussarbeit schreibende verheiratete Studentin Ella will den Kick der Abwechslung spüren. Mishani lässt lange offen, in welche Richtung seine Geschichten führen. Sein Krimiplot funktioniert auch ohne Thrillereffekte und überpräsenten Ermittler. Selbst das Verbrechen steht nicht im Vordergrund. Allein durch die emotional aufgeladenen Lebenswelten ergeben sich unausweichlich Wege, die spannungsreich zu tödlicher Gewalt führen. Das spricht sowohl Leser*innen an, die sich sonst der Sparte kitschfreier Beziehungsromane zuwenden, als auch Liebhaber*innen literarisch anspruchsvoller Spannungsliteratur. Mishani findet die richtige Balance zwischen Gesellschaftskritik und intelligenter Spannungsliteratur. Das kommt nicht nur in Israel bestens an.